Gastbeitrag von Justin:
Justin schrieb mir:
Hallo, auf diesem Weg wollte ich gerne meinen Geburtsbericht und mein/unser Trauma aufschreiben, um auf viele Dinge aufmerksam zu machen die heutzutage absolut schief laufen!
Neun Stunden war alles gut
Ich habe 2016 mein erstes Kind geboren (auf "natürlichem" Weg). Ein kleines Mädchen. Die Geburt dauerte zehn Stunden.
Die ersten neun Stunden waren wirklich gut zu ertragen und so kämpfte ich mich tapfer durch alle Phasen der Geburt und veratmete brav die Wehen.
Die Hebamme lobte mich noch und sagte begeistert, dass es ihr so vorkäme, als hätte ich schon mehrere Kinder entbunden.
Wir waren fast immer alleine
Mein Mann und ich waren fast die ganze Zeit alleine im Kreissaal und die Hebamme kam gefühlt alle drei Stunden kurz rein, um nach uns zu sehen, ehe sie dann blitzschnell wieder verschwand.
Für uns war das schon sehr beängstigend, denn wir hatten keinen wirklichen Ansprechpartner.
Es würde gleich losgehen
Als es dann zum Endspurt los ging, kam die Hebamme und meinte trocken, dass in ca. 15 Minuten das Kind da wäre.
Ich fragte mich woher sie das wissen wollen würde, denn man konnte nicht mal den Kopf sehen.
Die Presswehen begannen und plötzlich steckte meine Tochter fest.
Ich stand neben mir
Es ging nichts mehr vorwärts, nichts mehr rückwärts. Ihre Herztöne wurden immer schlechter und ich immer schwächer.
Ich fing an zu krampfen und verlor immer wieder das Bewusstsein.
Ich hatte höllische Schmerzen und fühlte mich als würde ich neben mir stehen.
Pinne mich für später:
Zu spät für den Kaiserschnitt
Der ganze Raum war plötzlich voll von Ärzten und Schwestern. So unendlich viele Menschen.
Ich bettelte weinend und extrem geschwächt nach einem Kaiserschnitt. Dafür war es schon zu spät. Sie war schon zu tief.
Die Hebammen und Schwestern fingen an wie eine wilde Meute von allen Seiten auf meinem oberen Bauch rum zu drücken mitsamt ihren kompletten Armen.
Ich fühlte mich wie ein lebloses Stück Fleisch.
Solche Schmerzen
Meine Tochter wurde letzten Endes mit der Saugglocke raus GERISSEN, weil es schnell gehen musste!
Davor hat man mir ohne Vorwarnung oder Betäubung einen Dammschnitt verpasst.
Ich habe geschrien wie am Spieß und hatte solche Schmerzen als mein kleines Mäuschen endlich auf der Welt war, dass ich am liebsten hätte sterben wollen.
Ich musste genähnt werden
Durch das rapide Rausreißen meiner Tochter, hatte ich einen starken Scheidenriss, einen kompletten Dammschnitt und musste Ewigkeiten genäht werden.
Als endlich alles vorbei war und ich dachte wir hätten es geschafft, merkte ich das etwas nicht stimmte!!
Niemand wollte helfen
Ich bat die Hebamme um Hilfe, aber wurde abgetan!
Ich hielt es plötzlich kaum noch aus vor Schmerzen und fing an laut zu brüllen, dabei durfte ich mir anhören ich sei hysterisch und solle mal wieder runter fahren!
Man muss dazu sagen, dass ich selbst Krankenschwester bin und etwas Ahnung habe.
Ich habe zum Schluss solange nach einem Arzt gebrüllt bis endlich eine total genervte Ärztin den Raum betrat.
Ich schrie sie an, sie solle mich untersuchen.
Es war ganz knapp
Nach kurzer Zeit stand fest, dass ich ein riesiges inneres Hämatom hatte und nach innen einblutete.
Es wurde sofort eine Notoperation eingeleitet mit Vollnarkose und allem drum und dran, bei der ich fast verblutet wäre.
Unser Trauma
Noch zwei Jahre nach der Geburt hatte ich Schmerzen beim Sport oder Intimitäten mit meinem Mann!
Ich hatte Alpträume, konnte nicht mal ansatzweise an ein weiteres Kind bzw. eine weitere Geburt denken und mein Mann fängt heute noch an zu weinen, wenn er von der Geburt erzählt.
Er hat schließlich alles mitbekommen, wie schlecht es sowohl um seine Tochter, als auch um seine Frau stand. Er konnte aber nichts tun. Nur zusehen.
Für ihn war das das schlimmste.
Das ist das schlimmste für mich
Heute bin ich wieder schwanger in der 38 Woche und für mich stand von Anfang an fest, dass wird ein geplanter Kaiserschnitt!!!! Nicht noch einmal mache ich das durch und laufe Gefahr, dass meine beiden Kinder ohne Mutter aufwachsen müssen.
Das schlimmste ist, dass selbst nach meiner heftigen Geburtserfahrung, kaum ein Arzt, eine Freundin oder ein Außenstehender Verständnis für meine Geburtspläne hat.
Das ist meine Entscheidung
Ich musste mich sogar im Krankenhaus rechtfertigen und immer wieder den Tränen nahe auf den Kaiserschnitt bestehen.
Ich finde es unglaublich, dass man sich als Mutter rechtfertigen muss für seine Entscheidungen!
Man wird als erwachsene Frau nicht für voll genommen, wird kritisiert und manipuliert, man darf sich klein reden lassen oder schlimmeres, nur weil man eine persönliche Wahl getroffen hat, die nebenbei gemerkt, völlig legal und gesetzlich erlaubt/anerkannt ist.
Ein dringender Wunsch
Ich bin zutiefst schockiert und traurig über die Zustände und verstehe nicht, warum wir Frauen nicht viel mehr zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen, statt uns anzufeinden und uns gegenseitig schlecht zu machen.
Ich hoffe auf mehr Toleranz und Mitgefühl in der Mutterwelt und wünsche dir noch einen schönen Abend. Danke dass ich meinen Geburtsbericht los werden konnte! 🙂
Was Justin erlebt hat, ist nicht so selten, wie einige denken. Leider stelle ich immer wieder fest, dass es ein paar Frauen / Mütter gibt, die, weil sie selbst eine tolle Geburt hatten, nicht in der Lage sind zu akzeptieren, dass nicht jede gute Erfahrungen gemacht hat.
Mir kommt es manchmal so vor, als ob diese Frauen denken, dass eine tolle Geburt ein Verdienst sei, den sie errungen haben, weil sie irgendetwas viel, viel besser gemacht hätten als andere. Daraufhin schauen sie abschätzend auf andere Frauen herab und tun das auch kund, um sich noch toller zu finden.
Ich sage immer: Man kann auch super sein, ohne andere schlecht zu machen. 😉
Eine schöne Geburt ist etwas, für das man demütig dankbar sein muss. Und eine schlimme Geburtserfahrung ist nichts, für das eine Frau etwas kann. Es ist einfach Pech.
Nach der ersten Geburt habe ich mich damals wie ein kompletter Versager gefühlt und daher diesen Blog gegründet.
Ich weiß, liebe Leserin, dass du entweder kurz vor der Geburt stehst, oder sie gerade hinter dir hast. Einen Gedanken möchte ich dir daher mitgeben:
Eine Geburt war dann super, wenn Mutter und Kind überlebt haben. Punkt.
Ich hoffe, das nimmt viel Druck aus deinen Erwartungen und hilft dir bei der Verarbeitung danach.
LG Ina