Mein Mann, meine emotionale Stütze
Und Thomas? Den schien nichts abzuschrecken: Brechend kannte er mich ja bereits vor der Geburt, auf dem Klo kauernd sowie den Urin und einige Tropfen Blut die Beine herablaufend nun auch. Vom lauten Schreien, Tönen und Atmen mal abgesehen. Als das Köpfchen – oder vielmehr die Haarpracht, wie meine Hebamme freudig verkündete – zu sehen war, schaute Thomas nach, obwohl er mir eigentlich nicht zwischen die Beine blicken wollte. Ich wollte das unserem Geburtsplan gemäß eigentlich auch nicht. Als die Plazenta kam und die Hebamme sie erläuterte, sah sich Thomas diese interessiert an. Auch das wollte er im Vorfeld eigentlich nicht sehen. Beides empfand er entgegen seiner Annahme aber dann doch nicht als eklig.
Viel wichtiger aber war, dass ich mit Thomas meine emotionale Stütze hatte, mit der ich nur noch in Ein-Wort-Sätzen oder besser Imperativen kommunizierte: Trinken, Hand, Bein – das war das wichtigste Befehlstrio. Trinken ist klar, Hand für Hände halten während der Wehen und Bein fürs Halten in der Seitenlage. Thomas sagte mir immer wieder, wie unglaublich toll ich das machen würde. Und dass ich wunderschön aussehen würde. Ich glaubte ihm das, wenngleich ich es mir nicht vorstellen konnte und spürte wie Glückshormone durch meinen Körper schossen und mir einen Kick gaben. Thomas war mein Anker, der mir im Krankenhaus keine Sekunde von der Seite gewichen ist (acht Stunden ohne Toilette hätte ich nicht geschafft). An seinen Händen konnte ich mich festhalten und dabei unsere gemeinsame Kraft und Verbundenheit spüren. Sobald die Wehen wieder begannen und ich nach dem Hand-Ruf nicht unmittelbar, sondern zwei-drei Sekunden verzögert seine Hände bekam, wurde ich schon ganz panisch. Es ging nicht ohne, auf keinen Fall. Als ich die Lokomotiv-Atmung anwendete, drückte er in meinem Atemtempo unsere Hände zusammen und spiegelte mir damit meinen Rhythmus und gab ihm noch mehr Betonung und damit Stärke. Ich habe mich für nichts in Thomas‘ Beisein geschämt, ich konnte mich so intensiv fallen lassen, gerade weil er an meiner Seite war.
Der Schlüssel: Die richtige Atmung
Und ich hatte meine fachliche Stütze an meiner Seite und vertraute auf sie. Meine Hebamme gab mir dezent wohlwollende Hinweise (beispielsweise beim Hocken zur weiteren Öffnung zu versuchen, die Fersen auf den Boden abzusetzen) und ließ mich ansonsten mein Ding machen. Sie hat nicht ein Mal etwas Negatives gesagt, mich nicht wegen meiner Lautstärke gemaßregelt. Wenn ich etwas ablehnte (beispielsweise fühlte ich mich in der Wehenpause nicht immer danach, meine Hüften zu kreisen oder statt des vorgeschlagenen Hechelns wandte ich die im Yoga-Kurs gelernte Lokomotiv-Atmung an), dann zwang sie es mir nicht auf, sie nahm es unbeleidigt an. Von entscheidender Hilfe war aber ihre Anleitung meiner Atmung. Statt aus dem Kehlkopf zu schreien bzw. zu tönen versuchte sie mich dafür zu gewinnen, die Wehen wegzupusten. Das klang für mich erst ziemlich komisch, zumal ich das Tönen im Schwangerenyoga-Kurs nicht nur geübt, sondern es zu Hause gern und viel zur Beruhigung und Kontaktaufnahme mit meinem Wurm angewendet hatte. Aber ich probierte das Wegpusten und es fühlte sich für mich und meinem Wurm überraschenderweise spürbar besser an. Ich glaube, das war entscheidend, um in meinen Geburtsflow zu gelangen, denn diese Atmung half mir, die Schmerzen auszuhalten.
Körpergefühl
Als dritte Stütze im Bund hatte ich meinen Körper und die damit verbundene Intuition. So setzte ich nicht alle Vorschläge um bzw. konnte sie zeitweise nicht anwenden, weil ich mich nicht danach fühlte. Und dann machte ich, wonach mir war, wozu ich mich in der Lage fühlte. Das war auch wirklich wichtig, denn mein Körper hatte nicht viel Zeit zur Erholung, nicht mal eine Minute und das über acht Stunden lang. Das war eine zusätzliche kräftezehrende Belastung. Meine Hebamme hatte mir dann auch von mir fast unbemerkt, aber natürlich mit Ankündigung, neben weiterem Schmerzmittel nach um drei Uhr auch Glukose gegeben. Das hatte mir nochmal richtig Kraft gegeben für den Schlussspurt. Zumindest attestierten mir das Thomas und meine Hebamme. Die Wirkung des Schmerzmittels war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein, aber das war mir ja inzwischen egal.