Gastbeitrag von Hannah
Hallo, ich bin Hannah, 23 Jahre alt und komme aus Hamburg. Ich möchte von der Geburt meines ersten Kindes berichten, die vom Blasensprung bis zur eigentlichen Entbindung ganze 50 Stunden gedauert hat. Ich habe während der Schwangerschaft selbst gerne Geburtsberichte gelesen, um mich so gut wie möglich darauf „vorzubereiten“ - dennoch kam natürlich alles ganz anders als gedacht.
Erwartungen vs. Realität
Um ehrlich zu sein, habe ich mir die Geburt einfacher vorgestellt, selbstbestimmter und weniger traumatisch. Ich hatte eine sehr positive Einstellung, habe beim Anmeldegespräch in der Klinik den Wunsch nach einer möglichst schmerzmittel- und interventionsfreien Geburt gewünscht, am liebsten auf dem Gebärhocker. Ich habe von Anfang an darauf vertraut, dass mein Körper schon weiß, was er tut – wenn ich eine Hebamme gefunden hätte, hätte ich vielleicht sogar eine Hausgeburt gehabt. Nun ja, im Nachhinein kann ich nicht sagen, ob es ein Fluch oder Segen war, dass ich in einer Klinik entbunden habe...
Schwangerschaftshypertonie und Notching
Etwa in der 35. Woche wurde eine Schwangerschaftshypertonie bei mir diagnostiziert und ich sollte aufgrund von Notching nicht über meinen errechneten Termin gehen, den 21. Februar 2019. Somit versuchte ich alles, um die Wehen in Gang zu bekommen – von Himbeerblätter- und Eisenkrauttee über Heublumendampfbad, Nelkenöltampons und alles, was man eben so liest. Am Dienstag, den 19.2., platze gegen 23 Uhr meine Fruchtblase. Ich wollte gerade einschlafen, als plötzlich alles nass wurde.
Schwangerschaftshypertonie ist ein deutlich erhöhter Blutdruck in der Schwangerschaft. Er kann ein Indiz für schwerere Komblikationen sein.
Notching: Am Ultraschall untersucht der Frauenarzt auch die Aterie, die die Gebährmutter mit Blut versorgt. Dabei wird ein Geräusch und eine Kurve auf dem Ultraschallbild sichtbar gemacht. Ist in der Kurve eine Einkerbung zu sehen, spricht man von Notching. Ob dies gefährlich für dein Baby ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Ab dem Blasensprung tickt die Uhr
Ich weckte meinen Freund und rief im Kreißsaal an, wo man mir mitteilte, ich solle sofort kommen, denn ab dem Blasensprung tickt ja gewissermaßen die Uhr, bis das Kind dann da sein sollte, aufgrund der Infektionsgefahr.
Leichte Wehen in Sicht
Im Krankenhaus angekommen waren noch kaum Wehen auf dem CTG zu verzeichnen, der Muttermund war bei 2 cm, aber sehr weit hinten und kaum tastbar. Ich sollte wegen des Blasensprungs nicht mehr nach Hause fahren und wurde über Nacht in einem Vorwehenzimmer einquartiert. Der Plan war, dass ich etwas Schlaf bekommen und am nächsten Morgen gegen 7 Uhr das erste Mal eine Tablette zur Einleitung nehmen sollte, sofern sich bis dahin wehentechnisch noch nichts getan hätte. Ich schlief zwei Stunden und bekam leichte Wehen – aber stark genug, um nicht mehr weiterschlafen zu können, da sie im Liegen besonders zu spüren waren. Sie kamen etwa alle 15 Minuten.
Spazierengehen zur Wehenförderung
Gegen 7 Uhr morgens bekam ich ein Antibiotikum und zunächst nur ein pflanzliches Mittel zur Wehenförderung. Wir sollten spazieren gehen, denn ich wollte eine Einleitung eigentlich vermeiden. Der Arzt aus der Nachtschicht verabschiedete sich und sagte mit einem Augenzwinkern, dass er uns zu seiner nächsten Schicht mit Baby wiedersehen würde.
Auch mit Tablette tat sich nicht viel
Wir gingen stundenlang spazieren, aber als sich die Wehen bis zum Mittag nicht verstärkt hatten und auch am Muttermund nichts verändert war, bekam ich dann die erste Tablette Cytotec. Die Tablette brachte nicht viel - die Wehen kamen und gingen, wurden stärker und wieder schwächer. Den ganzen Tag liefen wir durch die Gegend und ich hatte schließlich mehrere Blasen an den Füßen, aber keine effektiven Wehen. Abends bekam ich dann weitere zwei Tabletten und sollte schlafen und Kraft sammeln, was aber kaum funktionierte.
Pünktlich zum errechneten Geburtstermin
Am Donnerstag, dem Stichtag, wurden die Wehen dann zunehmend stärker und endlich tat sich auch am Muttermund etwas. Wir zogen in den richtigen Kreißsaal um und gingen wieder spazieren, aber ab mittags waren wir dann zu kaputt und die Wehen wurden immer heftiger, so dass wir von da an im Kreißsaal blieben.
Diese Wehen sind anders
Ziemlich schnell merkte ich, wie sich muttermundswirksame Wehen wirklich anfühlen. Anfangs konnte ich sie gut alleine verarbeiten, aber nun brauchte ich Hilfe von meinem Freund, der mir zum Glück nicht von der Seite wich. Wir machten Musik an, um motiviert zu bleiben, er massierte mir auf meine Ansage den Rücken oder ließ mir in der großen Badewanne Wasser darüber laufen, während ich Töne von mir gab, die ich mir nie erträumt hätte.
Liegen war nicht gut
Ich verbrachte beinahe den ganzen Rest des Tages in der Badewanne, denn die Wehen waren dort am besten auszuhalten. Nur zu den Untersuchungen legte ich mich aufs Bett, aber bei jeder Wehe musste ich mich im Liegen beinahe übergeben. Außerhalb der Wanne waren sie nur im Stehen zu verarbeiten.
Mich verließ die Kraft
Gegen Nachmittag war der Muttermund dann bei ca. 7 cm und das motivierte mich natürlich. Bis dahin hatte ich das alles auch komplett ohne Schmerzmittel durchgestanden.
Weitere zwei Stunden vergingen, die Wehen kamen oft und heftig, dann die große Enttäuschung: in den zwei Stunden hatte sich nichts getan. Mich verließ langsam die Kraft, ich war frustriert und die Wehen wurden allmählich schwächer, weil mein ganzer Körper von den Strapazen seit dem Dienstagabend einfach erschöpft war. Ich hatte seit zwei Tagen fast nicht mehr geschlafen und kam an meine Grenzen.
Ich ertrug die Schmerzen nicht mehr
Auf einmal war es, als ob die Situation kippte – ich ertrug die Schmerzen nicht mehr und bekam zunächst Lachgas, aber davon wurde mir nur schwindelig. Der Muttermund stagnierte immer noch. Dann kam ich an den Wehentropf, wodurch ich keine Wehenpausen mehr hatte, um Kraft zu sammeln. Eine Wehe knallte auf die nächste. Völlig erschöpft fragte ich schließlich nach einer PDA, die ich auch ziemlich schnell bekam. Leider wirkte sie nur einseitig, aber zumindest ertrug ich die Wehen irgendwie unter viel Gestöhne.
Angst um mein Kind
Mein Zeitgefühl verlässt mich an dieser Stelle. Das Kind zeigte langsam Stress und sollte raus, der Muttermund war bei 10 cm, aber es war noch ein Saum da, der weg musste. Ich lag auf dem Kreißbett, plötzlich waren neben der Hebamme auch noch die Gynäkologin und die Oberärztin im Raum und alle redeten nur untereinander, niemand sprach wirklich mit mir.
Ich merkte, dass etwas nicht stimmte, und bekam Angst um mein Kind, woraufhin sie versuchten, mich zu beruhigen – aber die Situation wurde spürbar ernst.
Zwölfmal
Auf dem CTG konnte man meinen Herzschlag und den des Kindes nicht mehr unterscheiden, weil mein Herz so raste. Somit musste anders geschaut werden, wie gut das Kind noch versorgt war: Zwölfmal wurde ich vom Bett in eine „Gynäkologen-Stuhl-Position“ gebracht und ein Spekulum wurde mir unter den Wehen eingeführt, damit die Ärztin meinem Kind Blut aus der Kopfhaut abnehmen und damit den Sauerstoffgehalt überprüfen konnte. Zwölfmal. Da die PDA bis dahin schon raus war und nicht wieder aufgespritzt wurde, spürte ich alles.
Vielleicht ein Notkaiserschnitt?
Die Werte meines Babys waren grenzwertig und es stand der Notkaiserschnitt im Raum, wenn es nicht bald kommen würde. Die Presswehen setzten heftig ein, aber der Kopf meines Sohnes hatte sich nicht richtig eingestellt – er hatte sich in meinem Becken verkeilt. Ich presste um mein Leben, im Liegen, in der Hocke und dann wieder im Liegen. Die Oberärztin wickelte ein Bettlaken um meinen Bauch und drückte von oben, so dass mir fast die Luft wegblieb und ich dachte, mein Magen käme oben heraus.
Ich dachte, ich sterbe
Als klar war, dass der Kopf nicht von selbst durch das Becken kam, wurde mit einer Saugglocke geholfen. Was jetzt kam, waren die schlimmsten Schmerzen, die ich je erlebt habe. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich einmal so brutal schreien würde. Dass ein Mensch solche Schmerzen fühlen könnte, als ob er zerreißen würde. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich wirklich, wirklich dachte, ich würde sterben.
Ich presste und presste
Mir wurde immer wieder schwarz vor Augen und ich erinnere mich an meinen Freund, der Rotz und Wasser heulte, weil er Angst um mich hatte, während ich mich hilfesuchend an ihn klammerte. Die Ärztin zog an der Saugglocke, die Oberärztin drückte auf meinen Bauch, die Hebamme setzte einen Dammschnitt und eine Kinderärztin war angerufen worden und stand mit Handtüchern bereit. Ich presste und presste und presste, sie feuerten mich an. Ich weiß nicht, wie lange das ging, aber irgendwann war der Kopf meines Sternenguckers da. Und nach einigen weiteren Wehen und Handgriffen kamen schließlich die Schultern nach.
Mein Baby, mein Baby
Für wenige Sekunden hatte ich meinen wunderschönen Sohn auf dem Bauch und das Gefühl war schlichtweg unbeschreiblich. Ich konnte nur noch „Mein Baby, mein Baby, mein Baby“ sagen und weinen. Mein Freund sollte schnell die Nabelschnur durchschneiden und dann wurde der Kleine in einen Untersuchungsraum gebracht. Auf dem Flur hörten wir ihn schreien und es war das schönste Geräusch auf der Welt.
Am Ende überglücklich
Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis sie uns unser Baby endlich wieder brachten – alles war in Ordnung, es ging ihm gut. Er hatte die Saugglockenmarke beinahe seitlich am Kopf, so verquer hatte er im Becken gelegen. Aber er war rundum perfekt.
Ich hatte ziemlich viel Blut verloren und nach wie vor höllische Schmerzen, aber ich hatte mein gesundes Kind im Arm und war überglücklich.
Traumatisiert durch die Geburt
Meinen Freund und mich hat die Geburt gleichermaßen traumatisiert und als Paar zusammengeschweißt. Wir sind gemeinsam durch die Hölle gegangen, aber was dabei rausgekommen ist, war jede Sekunde wert. Jeden Schmerz.
Mattis ist am 22. Februar um 1.03 Uhr geboren worden. Er war 54 cm lang und 3610 g schwer. Und er ist unser ganzer Stolz.
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